Gerechtigkeit selbstgebacken?
Eine Replik von Lara Eckstein auf „Strafen nur für Falschparker und Sexisten“ (Tagesspiegel, 10.12.2017)
Lieber Herr Martenstein,
es tut mir leid, dass sie sich angegriffen fühlen: Diebe kommen ungestraft davon, aber Sie, ja Sie müssen sich plötzlich dafür verantworten, wenn Sie das Leben anderer Menschen beeinträchtigen? Das ist natürlich wirklich nicht fair.
„Die Einzigen, die wegen ihrer Verfehlungen immer noch ernste Sanktionen fürchten müssen, scheinen Falschparker und Sexisten zu sein“, schreiben Sie in Ihrer Sonntagsglosse für den Tagesspiegel. Und vergleichen sich mit einem Wiederholungsdieb, gegen den das Verfahren eingestellt wurde.
Keine Frage: Wir brauchen mehr Personal, um geltendes Recht in Berlin umzusetzen. Aber Ihre Rechnung, dass Falschparken und Sexismus so lange okay sind, bis alle anderen Probleme gelöst sind – sorry, aber die geht nicht auf. Gerechtigkeit funktioniert nicht, indem sich gutsituierte Männer, die mit Falschparkern nur ein Problem haben, weil sie selbst gerade in der Feuerwehreinfahrt halten wollten (nur ganz kurz natürlich), und die wie Sie offenbar den Unterschied nicht kennen zwischen einem Kompliment und einem sexuellen Übergriff, wenn sich diese Männer sich die Gesetze einfach selbst backen wollen. Das ist nicht gerecht, das ist selbstgerecht.
Ehrlich gesagt verstehe ich ihre Angst auch nicht. Ich fände es begrüßenswert, wenn Falschparken und Sexismus wirklich zu „ernsten Saktionen“ führen würden, wie sie schreiben.
Wenn jetzt eine Fahrradstaffel mit 20 Leuten in Berlin endlich anfängt, Falschparker zur Kasse zu bitten, ist das aber noch kein Grund, den Untergang des Autolandes zu beklagen. Das Bußgeld beträgt übrigens in der Regel zwischen 10 und 35 Euro. Es gibt auch Autofahrer, die sich 240 Mal beim Falschparken erwischen lassen, ohne das eigene Verhalten zu hinterfragen. Und wenn sich jetzt Betroffene von sexualisierter Gewalt endlich trauen zu sagen #metoo, dann ist das mutig und wichtig, aber es ändert noch nichts an der Besitzverteilung von Chefsesseln und Bankkonten. Dann werden immer noch nur 5 bis 10 Prozent aller sexuellen Übergriffe zur Anzeige gebracht.
Und ja, Falschparken gefährdet Menschenleben: Weil Kinder auf die Straße treten, ohne vom motorisierten Verkehr gesehen zu werden, weil Radfahrende plötzlich in den Fließverkehr ausweichen müssen und weil Rettungswege blockiert werden. Sexismus und Falschparken zu ahnden ist also keine gemeine Idee, um Ihnen die Komfortzone zu beschneiden. Es ist einfach menschenfreundliche Politik. Der Tag, an dem Sie Ihre Glosse geschrieben haben, war der internationale Tag der Menschenrechte. Passenderweise verharmlosen Sie nicht nur Sexismus und Falschparken, sondern hetzen auch gegen Menschen, die aus Krieg und Armut geflohen sind. Das ist schlicht und einfach geschmacklos.
Aber wenn wir schon über eine Belohnung von 1000 Euro reden, dann doch bitte für diejenigen, die ihr Auto abgeben und dadurch die Allgemeinheit ein bisschen weniger mit Lärm und Abgasen nerven. Und vielleicht können Sie ja, wenn Sie weniger Zeit im Stau und bei der Parkplatzsuche vergeuden, das nächste Mal auch gelassener reagieren, wenn ihren Mitmenschen ein kleines bisschen Gerechtigkeit widerfährt – sogar dann, wenn es Radfahrende, Frauen oder Geflüchtete sind.
Wer auch gerne einen Gastkommentar zu einem Fahrradthema veröffentlichen will, schreibt an netzwerk@fahrradfreundliches-neukoelln.de
1 comment on “Gastkommentar zu Martenstein „Strafen nur für Falschparker und Sexisten“”